Achim Steiner
“Bei Jobs geht es nicht nur um Geld – es geht um Würde”

Achim Steiner, UNDP-Administrator, betont: Jobs sind mehr als Einkommen – sie bedeuten Würde und Zukunft. Er zeigt, wie Bildung, Finanzierung und grüne Transformation entscheidend sind, um Arbeitslosigkeit weltweit zu bekämpfen und nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.
Achim Steiner, was ist der Zusammenhang zwischen Jobs und Entwicklung?
Mit Jobs verdienen Menschen ihren Lebensunterhalt, es geht wirklich ums Überleben. Wenn Länder von der Landwirtschaft zur Industrie und zur digitalen Wirtschaft übergehen, müssen sie genügend Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig die Fähigkeiten der Menschen ausbauen. Wenn man dieses Gleichgewicht nicht richtig hinbekommt, kommt es zu massiver Arbeitslosigkeit und sozialen Problemen.
Wie verändert ein Arbeitsplatz das Leben eines Menschen?
Bei Arbeitsplätzen geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Würde. In vielen Entwicklungsländern gibt es in der formellen Wirtschaft nicht genügend gute Arbeitsplätze: Hochschulabsolventen arbeiten als Sekretariatskräfte oder versuchen verzweifelt, einen schlecht bezahlten Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst zu bekommen. Die digitalen Kompetenzen, die man heute in der Schule erlernt, entscheiden im Wesentlichen darüber, ob man Chancen hat oder zurückbleibt. Junge Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie eine Zukunft haben, und nicht nur von Tag zu Tag überleben.
Was passiert, wenn es in Ländern nicht genügend Arbeitsplätze gibt?
Die meisten Menschen arbeiten dann in der informellen Wirtschaft – sie betreiben kleine Läden oder verkaufen Dinge auf der Straße. Aber dann bekommen sie keine Gesundheitsversorgung, keine Bildungsförderung und keine Berufsausbildung. Ein weiteres Problem: wenn junge Menschen keine Kredite bekommen, können sie keine Unternehmen gründen. Kenia hat begonnen, dies zu ändern, indem es neue Wege zur Finanzierung junger Unternehmer geschaffen hat. Wenn man Arbeitsplätze schaffen will, braucht man drei Dinge: Bildung, digitale Infrastruktur und Zugang zu Geld.
Künstliche Intelligenz wird viele gering qualifizierte Arbeitsplätze überflüssig machen. Woher kommen dann neue Arbeitsplätze?
Jede neue Technologie vernichtet einige Arbeitsplätze, schafft aber auch neue. Wir sehen das in China – vor 30 Jahren gehörten Teile des Landes zu den ärmsten Regionen der Welt. Heute ist es eine Technologiemacht. Das Gleiche gilt für Indien, das zur Software-Hauptstadt der Welt geworden ist. In Afrika können Landwirte jetzt Wetterberichte und Marktpreise sofort auf ihren Handys abrufen, selbst in Dörfern ohne Strom. Versicherungsgesellschaften können jetzt armen Menschen günstige Krankenversicherungen anbieten, weil KI ihnen hilft, Risiken besser zu berechnen und zu bewerten. Der Schlüssel liegt darin, sicherzustellen, dass jeder Zugang zu diesen Technologien hat, nicht nur Eliten oder reiche Länder.
Im globalen Norden haben wir jahrhundertelang für menschenwürdige Arbeitsbedingungen gekämpft. Brauchen wir in Afrika das gleiche Niveau an Arbeitsplätzen?
Das kann man nicht zur Voraussetzung für den Start einer Entwicklung machen. Europa hat 200 Jahre gebraucht, um sich zu industrialisieren. Ich denke daran, wie europäische Fabriken noch vor 150 Jahren aussahen. Ich behaupte nicht, dass Afrika denselben Weg einschlagen wird. Aber mit der Entwicklung der Arbeitsmärkte steigen die Einkommen und die Investitionen in soziale Sicherheitsnetze und Bildung. Die Beschäftigten werden zu einem grundlegenden Kapital für ein Unternehmen und für die Volkswirtschaft, und sie brauchen bessere Bedingungen, um sich entfalten und produktiv sein zu können.
Lassen wir nicht die Umwelt außer Acht, wenn wir uns nur auf die wirtschaftliche Entwicklung konzentrieren?
Die alte Vorstellung, dass man sich zwischen Wirtschaft und Umwelt entscheiden muss, ist überholt. Heute ist die Umweltzerstörung die größte Bedrohung für den wirtschaftlichen Wohlstand. Der ökologische Wandel ist der neue Motor für Arbeitsplätze. Nehmen wir den Energiesektor. Zwei Drittel aller neuen Strominfrastrukturen, die 2024 weltweit gebaut wurden, waren erneuerbar – und sie sind billiger als fossile Brennstoffe. Deshalb übernehmen auch afrikanische Länder eine Führungsrolle in diesem Wandel. Sie brauchen dringend Zugang zu sauberer und erschwinglicher Elektrizität. Kenia bezieht bereits 90 % seines Stroms aus erneuerbaren Energien. China treibt die grüne Technologie voran, nutzt aber weiterhin fossile Brennstoffe. Das Problem ist nicht mehr die Technologie – es ist die Tatsache, dass unsere Banken und Regierungen immer noch alte, schmutzige Industrien gegenüber sauberen bevorzugen.
Brauchen wir einen Global Jobs Index, um Ländern dabei zu helfen, bessere Politik zu machen?
Auf jeden Fall. Zahlen lenken die Aufmerksamkeit von Regierungen und Öffentlichkeit auf Fakten. Wenn man sein Land mit Nachbarländern mit ähnlichen Bedingungen vergleichen kann, beginnt man, kritische Fragen zu stellen: Warum haben die mehr Arbeitsplätze als wir? Politiker mögen es nicht, schlecht abzuschneiden, also versuchen sie tatsächlich, sich zu verbessern. Daten lösen eine öffentliche Debatte aus. Indizes wie der Global Jobs Index dienen nicht nur der Politikgestaltung, sondern ermöglichen eine öffentliche Debatte, die in den reichsten Volkswirtschaften von heute ebenso wichtig ist wie in einigen der ärmsten.
Interview by Till Wahnbaeck
November 15, 2025
About

Achim Steiner
Achim Steiner
Achim Steiner ist ein deutsch-brasilianischer Umweltpolitiker und seit 2017 Administrator des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP). Zuvor leitete er das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und engagiert sich seit Jahrzehnten international für nachhaltige Entwicklung, Klimaresilienz und soziale Gerechtigkeit. Steiner studierte in Oxford und London und gilt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik.
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