Hans Rusinek
“Die Gig-Economy ist das Arbeitsmodell der Zukunft”

Hans Rusinek untersucht die Zukunft der Arbeit und sieht die Gig-Economy als Arbeitsmodell von morgen. Projektarbeit und Nebenjobs schaffen Flexibilität und Chancen – vorausgesetzt, es gibt Stabilität und Lernmöglichkeiten, die Freiheit sinnvoll ergänzen.
Hans Rusinek, was ist Arbeit heute?
Arbeit ist viel mehr als nur ein ökonomischer Faktor. Sie ist der Ort, wo wir mit Menschen zusammenkommen, die wir unter Umständen nicht so im Privaten treffen würden. Da entsteht Reibung, da entsteht Wärme - wir verlieben uns auf der Arbeit, wir erleben Selbstwirksamkeit. Eine Gesellschaft baut sich zusammen durch den gemeinsamen Arbeitsplatz. Arbeit ist ein wichtiger sozialer Ort, wo wir zusammenkommen und lernen, über Differenzen hinweg miteinander zu funktionieren.
Was macht ein Job psychologisch mit einem Menschen?
Wir sehen, dass Lottogewinner eine höhere Suizidrate haben als Nicht-Lottogewinner. Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern auch ein existenzielles. Was Arbeit mit mir macht: Ich gebe der Welt etwas, was ich gemacht habe, und die Welt bedankt sich dafür. Das ist ein tiefes Bedürfnis in uns. Katholisch gesprochen gehört Arbeit zum Menschsein dazu. Diese existenzielle Ebene von Arbeit ist ein Problem für Millionen-Erben ohne Arbeitsmotivation gleichermaßen wie für Menschen ohne Arbeit.
Das Ideal nach dem Zweiten Weltkrieg war der Vollzeitjob bei Daimler bis zur Rente. Ist das noch zeitgemäß?
Es ist ja nicht mal mehr bei Daimler noch zeitgemäß! Vollzeit bei einem Arbeitgeber, seit Jahrzehnten: das ist ein Arbeitsmodell, das aus der Zeit fällt. Wir müssen uns auf viel kürzere Jobzyklen einstellen. Durch Automatisierung wird immer weniger Industriearbeit tatsächlich durch Menschen gemacht. Donald Trump wünscht sich stabile Arbeit für nicht-akademische Jobs. Wo er falsch liegt: das bedeutet heute nicht mehr die Arbeit am Fließband, sondern ist eher kleinteilig, zum Beispiel im Handwerk.
Projektarbeit und Nebenjobs prägen die moderne Arbeitswelt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Die projektbasierte Arbeitswelt, auch bekannt als Gig-Economy, ist die Idee einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch sehr bedarfsorientierte Arbeit. Eine Grafikdesignerin kann zum Beispiel mehrere Projekte parallel laufen lassen. Es gibt sie in sehr prekären Situationen, wo mein Chef eine App ist und ich Pizzen ausliefere, aber auch in hochpreisigen Branchen, zum Beispiel bei Anwälten. Studien zeigen, dass Nebentätigkeiten, bekannt als “Side Hustles”, auch der Hauptbeschäftigung positiv helfen können. Wer Nebentätigkeiten hat, steht seinem Arbeitgeber gegenüber nicht mit dem Rücken zur Wand. Neue, andere Erfahrungen lassen Wissen mehr fließen.
Ist das ein Modell für die Arbeit der Zukunft?
Definitiv. Wir erleben das ohnehin, dass immer mehr feste Stellen auch in Deutschland verringert werden. Man setzt mehr auf Freiberufler oder Zeitarbeit, weil Arbeitgeber in volatilen Zeiten ihren Personalstamm flexibler gestalten können. Es gibt starke technologische und volkswirtschaftliche Gründe für eine projektbasierte Arbeitswelt. Vertragsarbeit lässt sich heute digital anders regeln. Und das Netzwerk und die Marke des Arbeitgebers lassen sich in Zeiten von Karrierenetzwerken auch aus Arbeitnehmersicht einfacher regeln.
Wie unterscheidet sich die Gig-Economy zwischen privilegierten und prekären Situationen?
Eine wichtige Unterscheidung ist, dass es eine Hauptbeschäftigung gibt, die Stabilität liefert. In prekären Situationen erleben wir ja, dass keiner der einzelnen Jobs wirklich zum Leben ausreicht. Übrigens sorgt so ein Stabilitätsanker dafür, dass Nebentätigkeiten eher Entdeckungs-Orte werden können, sehr privilegiert gesprochen. Man kann das im Deutschen schön übersetzen: ein Standbein und ein Spielbein. Eine wichtige Unterscheidung ist auch die zwischen formeller und informeller Arbeit. Wenn die projektbasierte Arbeit in informeller Arbeit stattfindet - keine Altersvorsorge, keine Steuern, keine Arbeitsverträge - dann ist sie problematisch.
Welche Art von Jobs braucht die Welt in Zukunft?
Ich glaube, dass die Zukunft nicht den Wissenden sicher ist, sondern nur den Lernenden. Jobs sind zukunftsfähig, wenn man innerhalb dieser Jobs ständig dazu lernt und damit auf dem neuesten Stand bleibt. Es gibt Jobs, die dafür gut geeignet sind - freiberufliche Jobs zum Beispiel. Andere Jobs sind dafür eher schlecht geeignet und haben in dynamischen Zeiten schlechte Karten. Nicht alle zukunftsfähigen projektbasierten Jobs sind digital: das gilt für Lieferdienste oder den klassischen "Mann für alles" im Dorf.
Interview by Till Wahnbaeck
November 15, 2025
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Hans Rusinek
Hans Rusinek
Hans Rusinek ist Arbeitsforscher, Berater und mehrfach ausgezeichneter Autor. Er lehrt an der Universität St. Gallen und beschäftigt sich in Forschung und Praxis mit der Zukunft der Arbeit, Sinnstiftung und nachhaltiger Transformation. Sein aktuelles Buch „Work-Survive-Balance“ widmet sich der Frage, wie Arbeit enkeltauglich und gesellschaftlich sinnvoll gestaltet werden kann.
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